Antrag der Fraktion die Linke zum Thema und zum Tagesordnungspunkt „Verleihung der Ehrenbürgerschaft“

Gemeinderatssitzung in Tübingen am 30. Januar 2012

Heute vor 79 Jahren: Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.

Antrag der Fraktion die Linke zum Thema und zum Tagesordnungspunkt „Verleihung der Ehrenbürgerschaft“

  1. 1.     Geschäftsordnungsantrag: Der Tagesordnungspunkt „Verleihung der Ehrenbürgerschaft“ wird im öffentlichen Teil der Tagesordnung behandelt, vor allem auch deshalb, weil es dazu einen Antrag gibt, der nicht die Person des zu Ehrenden betrifft, sondern eine grundsätzliche Frage, die Inhalt unseres zweiten Antrags ist.
  2. 2.     Vertagungsantrag: Die Verleihung von Ehrenbürgerschaften in Tübingen wird so lange ausgesetzt, bis einer Regelung zustande kommt, wie mit den belasteten Mitgliedern, Anhängern und Aktivisten der NSDAP auf der Ehrenbürgerliste der Stadt Tübingen umgegangen wird.

Zu Punkt 2.

1. Auf der Liste der Tübinger Ehrenbürger, mit der die Stadt heute noch offiziell für sich Werbung macht und die auch im Internet und auf Wikipedia einsehbar ist, steht eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die Mitglieder in der NSDAP, der SS und anderer Naziorganisationen waren und die damit nach den Richtlinien des Außenministeriums der Bundesrepublik nicht einmal einen ehrenden Nachruf bekommen könnten.

2. Dies gilt sowohl nach den Bestimmungen, die Außenminister Joseph Fischer im Jahr 2003 erlassen hat, die jede Ehrung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern ausschließen, als auch nach den modifizierten Richtlinien von Auenminister Guido Westerwelle aus dem Jahr 2010, die bei Angehörigen von Nazi-Organisationen, die nach 1928 geboren sind bzw. später im Widerstand gegen die Nazidiktatur waren, eine Ehrung zulassen.

3. Nach beiden Richtlinien wären zumindest folgende Ehrenbürger der Stadt Tübingen von einem ehrenden Nachruf auszuschließen:

Hans Gmelin  (1911-1991) Oberbürgermeister a.D., ernannt am 3. Januar 1975, NDSAP und SA-Mitglied, rechte Hand des deutschen Statthalters in der Bratislava (Slowakei) und damit mitverantwortlich für die Deportation von 57 000 Juden in die Vernichtungslage und Gaskammern

Dr. Theodor Haering  (1884-1964) Professor der Philosophie, ernannt am 11. November 1957, NS-Dozentenbund, NSDAP-Mitglied ab 1937. Erklärter NSDAP-Anhänger und Propagandist, Hitler-Verehrer noch nach 1945/46

Dr. Dr. h.c. Walter Jens (geb. 1923) Literaturwissenschaftler, Professor der Rhetorik, ernannt am 1. Dezember 2002, NSDAP-Mitgliedsnummer Nr. 9265911

Dr. Dr. h.c. Theodor Eschenburg (1904-1999) Staatsrat a.D., Professor der Politikwissenschaft, ernannt am 18. Juni 1985 Eschenburg war seit 1934 Mitglied der SS (Mitgliedsnummer: 156004) Eschenburg trug eine gewichtige Verantwortung für die einzige blutige Auseinandersetzung zwischen ‚linken‘ (Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold) und ‚rechten‘ Tübinger Studenten in der Weimarer Zeit: Drohend hatte der HDA-Vorsitzende Eschenburg 1925 (Hochschulring Deutscher Art, dem nur „Arier“, keine Juden angehören durften) vergeblich die Absetzung eines Vortrags des deutsch-jüdischen Pazifisten Emil Julius Gumbel gefordert, und weil er dennoch stattfand, schlugen etliche Mitglieder während der Veranstaltung zu. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner , kurz Reichsbanner , war ein überparteiliches, in der Praxis von Sozialdemokraten dominiertes Bündnis in der Weimarer Zeit zum Schutz der Republik gegen ihre Feinde an den politischen Rändern . Zwei Tage nach der von Eschenburg organisierten „Schlacht von Lustnau“ fuhren Reichsbannerangehörige auf Lastwagen mit der Losung „Nieder mit Eschenburg“ durch die Tübinger Straßen.

Dr. h.c. Kurt Georg Kiesinger (1904-1988) Bundeskanzler a.D., ernannt am 6. April 1979 Im Februar 1933 wurde er Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 2633930). Im Reichsaußenministerium unter v. Ribbentrop stieg er bis zum stellvertretenden Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung auf, die für die Überwachung und Beeinflussung des ausländischen Rundfunks (siehe auch „ Feindsender „) zuständig war. Unter anderem war er für die Verbindung zum Reichspropagandaministerium von Joseph Goebbels zuständig, mit dem seine Abteilung Kompetenzstreitigkeiten hatte. Kiesinger blieb bis 1945 Mitglied der NSDAP.

Dr. jur. Dr. phil. h.c. Gebhard Müller (1900-1990) Präsident a.D. des Bundesverfassungsgerichtes, ernannt am 11. August 1978.   Ab 1934 war er Amtsgerichtsrat am Amtsgericht Göppingen. Er gehörte dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) an und war Förderndes Mitglied der SS .

Wilhelm Vetter (1900-1977) Direktor, ernannt am 8. Januar 1977, Wirtschaftsberater der NSDAP-Kreisleitung

Dr.-Ing. e.h. Paul Schmitthenner (1884-1972)  Architekt, ernannt am 11. Oktober 1952   1933 trat Schmitthenner der NSDAP bei und wurde nach Berlin berufen, wo er die Staatshochschule für Kunst leiten, eine Professur an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg innehaben und das Referat für Kunsterziehung im Reichsministerium besetzen sollte. Kurzzeitig galt er als erster Baumeister des nationalsozialistischen Staates

Adolf Scheef (1874-1944) Oberbürgermeister, ernannt am 13. März 1939, über den eine Historikerin urteilte: „Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die Verwirklichung des Führerprinzips für kommunale Selbstverwaltung keine Freiräume ließ, sondern diese zum verlängerten Arm der Regierung machte, muss dennoch festgestellt werden, dass der einstige linke Flügelmann der schwäbischen Demokraten und erklärte Gegner der NSDAP nach 1933 seine Autorität keineswegs dazu einsetzte, den kommunalen Vollzug der rassistischen Sozialpolitik zu verhindern. Er arrangierte sich vielmehr mit der zuvor heftig bekämpften nationalen Bewegung, nachdem sie zur herrschenden Macht geworden war. Statt Schlimmeres zu verhindern, beteiligte sich Scheef an manchen Stellen ohne erkennbaren Zwang an antisemitischen Beschlüssen. Spektakulärstes Beispiel dafür ist das Verbot des Freibads für Juden, das der Gemeinderat unter seinem Vorsitz bereits im Mai 1933 beschloss. Damit errang Tübingen den traurigen Ruhm, die erste Stadt im damaligen Reichsgebiet gewesen zu sein, die die Ausgrenzung von Juden in dieser Weise praktizierte.“

4. Manchmal wird versucht zu argumentieren, es gebe dieses Problem mit den Ehrenbürgern nicht, da diese Ehre nach dem Tode automatisch erlischt. Eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft sei unnötig. Dagegen spricht die fast vollständige Ehrenliste auf der Homepage der Stadt Tübingen. Es fehlen jedoch die 1933 ernannten Tübinger Ehrenbürger Adolf Hitler, Gauleiter Murr und Kultusminister Mergenthaler. Irgendwie müssen die irgendwann einmal gestrichen worden sein.

5. Andere Städte sind da wahrhaftiger und führen in ihrer Ehrenbürgerliste auf, wann die Ehrenbürgerschaft der entsprechenden Person aberkannt wurde, ein Beispiel unter vielen, die Ehrenbürgerliste der Stadt Lübeck:

http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Ehrenbürger_von_Lübeck

Adolf Hitler (1889–1945) 1933, aberkannt 1946 Reichskanzler
Wilhelm Frick (1877–1946) 1937, aberkannt 1946 Reichsinnenminister
Hermann Göring (1893–1946) 1937, aberkannt 1946 Preußischer Ministerpräsident
Alfred Rosenberg (1893–1946) 1937, aberkannt 1946 Reichsleiter der NSDAP

5. Als in Tübingen im Jahr 2001 die Verleihung der Ehrenbürgerschaft für Wilhelm Beier (1911-2005), den langjährigen Geschäftsführer der Wohlfahrtspflege, im Ältestenrat des Tübinger Gemeinderats diskutiert wurde, verlangte ein Mitglied eine Untersuchung seiner Vergangenheit während der Zeit des Nationalsozialismus, mit der Begründung, man müsse sicher sein, dass keine Mitgliedschaft bzw. Belastendes aus der Zeit zwischen 1933 bis 1945 auftauche, er spreche aus familiärer Betroffenheit. Die damalige Oberbürgermeisterin Russ Scherer veranlasste daraufhin eine solche Untersuchung. Dies Episode zeigt, dass auch die Familie des Tübinger Ehrenbürgers Hans Gmelin die Aberkennung dessen Ehrenbürgerschaft für nur noch eine Frage der Zeit ansieht.

6. Wir haben schon mehrfach beantragt, dass , nicht nur als Gegengewicht zu nazilastigen Tübinger Ehrenbürgerliste, auch die Tübinger Verfolgten der Nazizeit geehrt werden müssten. Das würde nicht nur der bequemen Lüge entgegenwirken, es habe keinen Widerstand gegeben, schließlich hätten „alle“ mitgemacht. Und es würden den Nachkommen der Verfolgten ein Stück Ehre zurückgeben; sie scheuen sich noch heute, offen auf die Verfolgung ihrer Vorfahren hinzuweisen, weil der Tenor in der Nachkriegszeit lautete, „ganz umsonst sei niemand ins KZ gekommen“. Es war auch in Tübingen oft an den Stammtischen so, dass viele nach dem vierten Bier schwadronierten, „den habe der Hitler auch noch vergessen, zu vergasen bzw. den Kamin hochgehen zu lassen“. Nach dem Abzug der Franzosen aus Tübingen hörte man solche Äußerungen schon nach dem zweiten Bier. Solange diese längst überfällige Ehrung der Tübinger im Widerstand und unter Verfolgung nicht zustande kommt, ist es eine Frage des Anstands, auf weitere Verleihungen der Ehrenbürgerschaft zu verzichten. Erst unlängst gelang es dem Oberbürgermeister nicht, die Ehrenbürgerschaft für einen letzten in Tübingen wohnenden Überlebenden des Holocausts im Ältestenrat mehrheitsfähig zu machen. Auch dies verbietet, heute über eine andere Ehrenbürgerschaft zu entscheiden.

7. Es geht uns nicht darum, wie das Außenministerium jedes ehrende Gedenken an ehemalige Mitglieder von Naziorganisationen zu untersagen und alle Betroffenen samt und sonders als Ehrenbürger zu streichen. Aber erst kürzlich wurde in Rottenburg ein Ehrenbürger gestrichen, weil er kein Vorbild für die Jugend und die späteren Generationen sein kann. Das mag bei einer sexuellen Verfehlung gelten, aber umso mehr, als jemand bei der Aufhetzung zu Hassdelikten und zu Rassenhass mitwirkte oder Teil der Vernichtungsmaschinerie war. Es geht um Theodor Haering und Hans Gmelin. Letzterer hat sich am Schluss seines Lebens selber als Teil der „Tätergeneration“ bekannt. Deshalb hier noch einige Zitate zu Gmelin und Haering aus „Wikipedia“, aus einem Artikel von Hans-Joachim Lang und einer Stellungnahme von Prof. Dr. Utz Jeggle:

Nach der nationalsozialistischen „ Machtergreifung “ trat Gmelin im Oktober 1933 der SA bei; 1937 trat er nach Aufhebung der Aufnahmesperre der NSDAP bei. Drei Jahre zuvor hatte er sich als Hilfsredner für die Tübinger NSDAP-Kreisleitung betätigt. In der SA wurde Gmelin – zunächst SA-Obersturmführer – mehrfach befördert, zuletzt 1943 zum SA- Standartenführer . In der Tübinger SA fungierte er 1933 und 1934 als Wehrsport- und Schießreferent; 1936 wurde er als „Führer des Siegessturms im Reichsgepäckmarsch“ ausgezeichnet. Von 1933 bis 1934 war Gmelin Mitglied im NS-Studentenbund ; dann wechselte er in den NS-Rechtswahrerbund . Nach dem Assessorexamen 1937 arbeitete Gmelin zunächst in der Stuttgarter Justizverwaltung, ab 1938 als Hilfsreferent im Reichsjustizministerium . 1939 wechselte er als Landgerichtsrat nach Freiburg im Breisgau; in dieser Zeit war er für drei Monate beurlaubt, um Führungsaufgaben in der dortigen SA-Standarte zu übernehmen.

Während der sogenannten Sudetenkrise  – der Auseinandersetzung zwischen der Tschechoslowakei und dem Deutschen Reich um das Sudetenland  – war Gmelin vom 19. September bis zum 15. Oktober 1938 Führer der Kompanie „Hanns Ludin“ im Sudetendeutschen Freikorps . [3] Das überwiegend aus geflüchteten Sudetendeutschen gebildete Freikorps wurde von der SA betreut und provozierte im Grenzgebiet Zwischenfälle: Tschechische Zollstationen, Patrouillen und militärische Einrichtungen wurden überfallen; 150 Menschen wurden getötet. [4] Gmelin nahm an der Besetzung des Sudetenlandes teil.

Im Januar 1941 wechselte Gmelin an die Deutsche Gesandtschaft Preßburg in der Slowakei. Die Erste Slowakische Republik war ein formell unabhängiger Staat, faktisch jedoch stark vom Deutschen Reich abhängig. Deutscher Bevollmächtigter in der Slowakei war Hanns Ludin , den Gmelin aus der Stuttgarter SA kannte. [5] Gmelin wurde Ludins Adjutant und war zuständig für Organisation und Personalwesen, die Protokollabteilung und arbeitete zudem als „Volkstumsreferent“ und als Berater für Studentenfragen. Zunächst Legationssekretär , wurde Gmelin 1942 zum Gesandtschaftsrat ernannt. Im August 1942 war Gmelin an Verhandlungen über die Werbung ausländischer „Freiwilliger“ für die Waffen-SS in der Slowakei beteiligt. Nach Angaben Ludins wurde bei den Werbungen „ein erheblicher moralischer Druck auf jeden Einzelnen ausgeübt“. [6] Gmelin hielt zudem Verbindung mit Franz Karmasin , der sich als „Führer“ der Karpatendeutschen nur widerstrebend in den slowakischen Staat einordnen wollte.

Nach der Gründung der Slowakei im März 1939 war – unterstützt durch deutsche Berater – durch antijüdische Gesetze und Verordnungen die Entrechtung und Enteignung der Juden eingeleitet worden. Im September 1941 übernahm die Slowakei die nationalsozialistische Definition, wer Jude sei. Zu den slowakischen Maßnahmen gehörten Enteignungen, Ausgangssperren, Kennzeichnungspflicht durch gelbe Armbinden mit Davidstern sowie Versammlungsverbote. Gmelin bezog 1944 ein „ arisiertes “ Haus in Preßburg. [7]

In seiner Position als Gesandtschaftsrat war Gmelin auch an der „ Endlösung der Judenfrage “ in der Slowakei beteiligt, durch die etwa 59.000 slowakische Juden zwischen März und November 1942 in die Vernichtungslager Auschwitz , Treblinka und Sobibor deportiert und dort größtenteils umgebracht wurden. Dabei arbeitete er mit dem „Judenberater“ der Gesandtschaft, Dieter Wisliceny , eng zusammen. [8] Gmelins Paraphe ist auf einem Fernschreiben der Preßburger Gesandtschaft an das Auswärtige Amt vom 26. Juni 1942 zu finden, in dem es heißt:

„Die Durchführung der Evakuierung der Juden aus der Slowakei ist im Augenblick auf einem toten Punkt angelangt. Bedingt durch kirchliche Einflüsse und durch die Korruption einzelner Beamter haben etwa 35.000 Juden Sonderlegitimation erhalten, auf Grund derer sie nicht evakuiert zu werden brauchen. Die Judenaussiedlung ist in weiten Kreisen des slowakischen Volkes sehr unpopulär.“ [9]

Die Slowakei zahlte je „ausgesiedelten“ Juden 500 Reichsmark. Gmelin machte in diesem Zusammenhang gegenüber dem slowakischen Außenministerium Kosten geltend, „die vorläufig aus der anfänglich nur geringen Arbeitsleistung der Juden nicht gedeckt werden können, da sich die Umschulung erst nach einiger Zeit auswirken wird und da nur ein Teil der abbeförderten und noch abzubefördenden Juden arbeitsfähig ist.“ [10] Gmelins Namenskürzel findet sich auch auf Schriftstücken, die die Ankunft Adolf Eichmanns oder Besprechungen mit Eisenbahnern betreffen sowie auf Schriftverkehr mit dem Reichssicherheitshauptamt zur Deportation der Juden. Zudem nahm Gmelin an Besprechungen bei Ludin teil, bei der zwei Noten des Vatikans an die slowakische Regierung thematisiert wurden. In diesen Noten war von der Vernichtung der Juden die Rede.

Während des Slowakischen Nationalaufstandes war Gmelin im September 1944 der Verbindungsmann der Gesandtschaft zum ebenfalls aus Württemberg stammenden SS-Obergruppenführer Gottlob Berger . Berger leitete anfänglich die Niederschlagung des Aufstandes. Für seine Bemühungen bei der Partisanenbekämpfung wurde Gmelin mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. [11]

In höherem Alter bezeichnete Gmelin sich öffentlich als Mitglied der „Tätergeneration“. [13]

http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Gmelin

In der Zeit des Nationalsozialismus war Theodor Haering führendes Mitglied des NS-Dozentenbundes [3] und ab 1937 Mitglied der NSDAP , mit der er schon vorher sympathisiert hatte. Er verstand Philosophie als geistige Rassenkunde (so der Titel eines Vortrags aus dem Jahr 1939) [3] und schrieb bereits 1935: „Neben dem Rassenprinzip steht das Führerprinzip“. [4] Während des Zweiten Weltkriegs beteiligte er sich am NS-Projekt Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften . [3] Nach Kriegsende verlor er für drei Jahre die Bürgerrechte, sowie seine Professur, die er 1951 (bei gleichzeitiger Emeritierung ) zurückerhielt. Auch nach dem Krieg hat er an antidemokratischen Überzeugungen festgehalten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Haering

Die rechte Hand des Botschafters

Vor 60 Jahren endete die Diplomatenkarriere des Tübinger Nachkriegs-OB Hans Gmelin im Internierungslager

von Hans Joachim Lang

Schwäbisches Tagblatt vom 28.04.2005

Hans Gmelin mischte sich früh auch politisch ein, nicht als Mitläufer, sondern als Mitgestalter. Er focht für die Tübinger Burschenschaft Normannia und engagierte sich beim Nationalsozialistischen Studentenbund, vom Sommer 1933 bis Sommer 1934 auch als Referent im Stab des studentischen Landesführers Württemberg. …

Nach seiner Referendarzeit war Gmelin 1937 Assessor in der Reichsjustizverwaltung. In Stuttgart, wo er bis 20. November 1938 bei Gericht und Staatsanwaltschaft beschäftigt war, vertiefte er sich in das SA-Referat „Aufmärsche“. Am 12. September 1938 erlebte der 27-Jährige beim Nürnberger Reichsparteitag, wie Adolf Hitler das schon Wochen andauernde propagandistische Trommelfeuer gegen die Tschechoslowakei mit einer Brandrede verstärkt. …

Am 9. November wurde Hans Gmelin zum SA-Sturmbannführer befördert (drei Dienstgrade über seinem militärischen Rang eines Reserveleutnants). Nach einem halben Jahr als Hilfsreferent im Reichsjustizministerium wurde der 28-Jährige zum Landgerichtsrat ernannt und nach Freiburg versetzt, wo er ein Vierteljahr zu Führungsaufgaben in der dortigen SA-Standarte beurlaubt und danach in den Krieg eingezogen wurde. Im Alter von 30 und von 32 Jahren folgten die Beförderungen zum SA-Obersturmbannführer und schließlich zum SA-Standartenführer (letzterer Dienstgrad entsprach dem Militärrang eines Oberst). Die vor der OB-Wahl im „Schwäbischen Tagblatt“ erwähnten SA-Ränge waren also stark untertrieben. …

Nur wenige Tage nach der OB-Wahl von 1954 rückte die „Tagblatt“-Redaktion einen Leserbrief ins Blatt. Der protestantische Theologieprofessor Gerhard Ebeling, ein Jahr jünger als der Wahlsieger, nahm das Wahlergebnis zum Anlass für eine Abrechnung nicht nur mit Gmelin, sondern auch mit seinen Wählern. „Die Tübinger Bürgerschaft hat bei der Oberbürgermeisterwahl in ihrer Mehrheit einem Kandidaten die Stimme gegeben, dessen frühere Rolle als nationalsozialistischer Funktionär allgemein bekannt war“, wetterte der Kirchenhistoriker. Die Bürgerschaft habe „damit den Beweis erbracht, daß für sie Bedenken in dieser Hinsicht zumindest nicht maßgebend sind, wenn nicht gar für einen erheblichen Teil der Wähler solche Vergangenheit eine Empfehlung bedeutet.“ Wie eine Bombe wirkten diese besorgten Zeilen, mit voller Wucht schlugen die getroffenen Wähler zurück. Nach 66 Leserbriefen an vier Tagen schob die Redaktion einen Riegel vor und beendete die Debatte. Die überwältigende Mehrheit der Beiträge bezog Front gegen den ohne konkrete Beschuldigung gebliebenen Angriff des Kirchenmanns. Unter dieser Masse ist der besonnene Einwand des hiesigen Verlegers Hans Georg Siebeck wohl nicht weiter zur Kenntnis genommen worden, der zu bedenken gegeben hatte: „Herr Gmelin wird kaum behaupten können, daß ihm seine Tätigkeit in der Slowakei nicht Einblick in Dinge gewährt hätte, die heute jeden anständigen Deutschen mit Scham und Schauder erfüllen.“

Als Hans Gmelin Mitte Januar 1941 an der Seite Hanns Ludins und zunächst ausschließlich als dessen persönlicher Referent in der Pressburger Gesandtschaft eintraf, gab es die Tschechoslowakei nicht mehr. …

Aus deutschen Dokumenten geht hervor, dass zumindest Botschafter Ludin und Kulturattaché Hans Snyckers „arisierte“ Häuser bezogen, und 1944 auch Gmelin zu den Nutznießern aufrückte, als er Snyckers Wohnraum übernahm. Rund 59 000 slowakische Juden wurden zwischen März und November 1942 nach Auschwitz, Treblinka und Sobibor deportiert. Das Reich ließ sich für jeden „ausgesiedelten“ Juden 500 Reichsmark bezahlen. Auftragsgemäß brachte Gesandtschaftsrat Gmelin dem slowakischen Außenministerium „zur Kenntnis“, dass durch „Unterbringung, Verpflegung, Bekleidung und Umschulung der Juden“ Kosten entstünden, „die vorläufig aus der anfänglich nur geringen Arbeitsleistung der Juden nicht gedeckt werden können, da sich die Umschulung erst nach einiger Zeit auswirken wird und da nur ein Teil der abbeförderten und noch abzubefördernden Juden arbeitsfähig ist.“ Der Handel kam zustande, nachdem die Reichsregierung garantiert hatte, „dass die im Zuge der Entjudung der Slowakei abgenommenen Juden endgültig in Ostgebieten verbleiben und keine Rückwanderung nach der Slowakei erhalten“. …

In internen Umläufen wurde eine Hand voll Mitarbeiter über den Stand der Deportationen auf dem Laufenden gehalten. Egal ob Eichmann seine Ankunft ankündigte, hochrangrige Eisenbahner kamen und „Fragen des Judentransportes“ besprechen wollten oder das Reichssicherheitshauptamt „die Bereitstellung von rollendem Material seitens der Slowakischen Regierung“ begrüßte: Mit Namenskürzel – etwa „Gm“ für Gmelin – wird stets bestätigt, wer Kenntnis genommen hat. Weiteres wurde in Referentenbesprechungen erörtert. Dort berichtete Ludin auch einmal von zwei Noten des Vatikan an den slowakischen Ministerpräsidenten, wonach die Juden nicht zum Arbeitseinsatz geschickt, sondern dass sie vernichtet würden. …

Das Foto zeigt, aufgenommen in den frühen 1940er Jahren in der Slowakei, den dortigen deutschen Botschafter, SA-Obergruppenführer Hanns Ludin, neben ihm seine rechte Hand SA-Standartenführer Hans Gmelin.

Schwäbisches Tagblatt 26. 02. 2005

Dem Philosophen Theodor Haering soll posthum die Ehrenbürgerwürde aberkannt werden. Dafür plädiert Utz Jeggle, emeritierter Professor für Empirische Kulturwissenschaften. Jeggle charakterisiert Haering als einen „dauerhaften Nazi“.

Jeggle, der am Ludwig-Uhland-Institut über die NS-Geschichte im Kreis Tübingen forschte, bezog sich auf die neuen Erkenntnisse des TAGBLATT-Redakteurs Manfred Hantke. Der Magister der Philosophie arbeitet zur Zeit am Nachlass Haerings, der in der Universitätsbibliothek verwahrt wird. Nach Hantkes Befund war Haering (1884 bis 1964) ein glühender Verehrer Hitlers sowie ein antisemitisch und rassenideologisch geprägter Professor. Seit Hantkes Veröffentlichung läuft in Tübingen eine Diskussion über eine Umbenennung des Haering-Hauses. Jeggle ist das nicht genug.

Angesichts dessen, was Hantke dem Nachlass Haerings entnahm, führe kein Weg an der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft vorbei, sagt Jeggle. Haering war 1957 beim Ausscheiden aus dem Gemeinderat die höchste Auszeichnung der Stadt verliehen worden. Laut Jeggle hat ein Ehrenbürger eine Vorbildfunktion, und diese Vorbildfunktion habe Haering durch seinen Einsatz für das NS-Regime eingebüßt. Der Professor: „Man muss mit Trauer akzeptieren, dass es Verfehlungen gibt, die nicht auflösbar sind.“ Mit dem Entzug der Ehrenbürgerwürde will Jeggle die anderen Ehrenbürger schützen.

Insgesamt führt die Liste 34 Ehrenbürger auf, beginnend mit Viktor von Bruns und endend mit Hans Küng. Durch das Verweilen „des dauerhaften Nazi“ Haering würden „ehrbare Ehrenbürger“ beschädigt. Jeggle: „Da muss sich etwas ändern, sonst kommen die anderen Ehrenbürger in ein schiefes Licht.“ Die Annahme der Haering-Stiftung – der Professor hatte seine Villa an der Neckarhalde der Stadt vermacht – verpflichte die Stadt nicht dazu, sich einer kritischen Betrachtung der Person Haerings zu enthalten.

Zunächst schlägt Jeggle ein wissenschaftliches Symposium über Haerings Wirken im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit vor. Die Wissenschaftler sollten dabei eine Bestandsaufnahme machen und die Grundlage für eine solide Diskussion schaffen. Die Furcht, eine Debatte über Theodor Haering könnte die Diskussion über weitere Tübinger Ehrenbürger mit NS-Biographie eröffnen, etwa über Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1904 bis 1988) und OB Hans Gmelin (1911 bis 1991), darf laut Jeggle niemand davon abhalten, sich mit Haerings Vergangenheit zu beschäftigen.


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