Städtische Überstunden im Visir – Die FDP als Indianer-Schützer?

Nicht zu glauben: Die FDP im Gemeinderat interessiert sich für die aufgelaufenen Überstunden der städtischen MitarbeiterInnen seit 2008, Stichtag jeweils der 31.12. jeden Jahres, gegliedert nach Organisationseinheiten und Mitarbeitergruppen. Dies ist der Inhalt der Anfrage 010/2012 der FDP. „Rückmeldungen aus einigen Bereichen“ der Stadtverwaltung haben die FDP aufgeschreckt. Die Verwaltungsspitze hat für die kommende Hauptausschusssitzung am 17.4. einen Bericht angekündigt.

Eines ist schon vorab klar: Es gibt tatsächlich einen Haufen Überstunden, und in bestimmten Bereichen werden sie möglicherweise gar nicht richtig registriert. Für das hohe Überstundenaufkommen gibt es grundsätzlich und theoretisch zwei denkbare Möglichkeiten: Die Leute arbeiten zu langsam, oder der Arbeitsanfall ist zu hoch. Da von einem Bummelstreik der 5.300 Beschäftigten nichts bekannt ist, muss es sich also um den Arbeitsanfall je MitarbeiterIn handeln. Das wiederum kann an zu vielen und teilweise nicht notwendigen Aufgaben für die vorhandenen MitarbeitInnen liegen oder an zu wenig MitarbeiterInnen für die notwendigen Aufgaben.

Die FDP versäumte keine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Stadt zu viele Menschen beschäftige. In der letzten Haushaltsrede eiert der FDP-Fraktionsvorsitzende Beisel jedoch darum herum, Ross und Reiter zu nennen. Dort, wo es die meisten und immer noch nicht genug Einstellungen gegeben hat, im Kinder- und Jugendbereich, traut sich die FDP nicht ran: „Die Entwicklung der Personalaufwendungen halten wir für kritisch. Unzweifelhaft hat die Stadt Mannheim großen Personalbedarf bei der Kinderbetreuung. In diesen Bereichen und Gehaltsgruppen haben wir für steigende Personalkosten volles Verständnis.“ Auch für mehr Azubis hat man Verständnis. Und dann verrät Beisel, wo seiner Meinung nach zu viel Personal stecken würde: „Kritisch sehen wir dagegen die Zunahme an Personalstellen in höheren Führungsebenen, insbesondere im Bereich des Oberbürgermeisters. Wir plädieren dafür, weniger ‚Häuptlinge’ zu krönen und stattdessen in der Breite mehr ‚einfache Indianer’ einzustellen. Was nützt uns eine personell aufgerüstete Steuerungseinheit, wenn der Verwaltung in den unteren Ebenen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Umsetzung der Aufgaben fehlen und dort die Arbeitsbelastung immens zunimmt? Es kann nicht sein, dass immer mehr ‚Häuptlinge’ Besoldungsgruppe B2 und höher bekommen und die ‚Indianer’ das Burnout-Syndrom!“

In der Tat, die psychischen Erkrankungen nehmen überall in Industrie, Dienstleistungen und Verwaltungen rasant zu, und das hat seinen Grund: Rationalisierungs-„Erfolge“. Allerdings kann man nicht behaupten, dies treffe nur die „Indianer“. Öffentlich bekannt sind zwei Burn-Outs städtischer Führungskräfte: Eines ehemaligen Amtsleiters, für den sich aufgrund der Riesenhaftigkeit seines Amtsbereichs kein/e Nachfolger/in finden will und der Intendantin des Nationaltheaters.

Aber ein bisschen Populismus muss halt immer sein. Dann gibt es für die FDP noch einen Bereich, in dem zu viel Personal unterwegs ist: der Kommunale Ordnungsdienst, der eigentlich Landesaufgabe sei. Dieser jedoch ist einer der wenigen Verwaltungsbereiche, der mit finanziellem Überschuss arbeitet. Für die ganze sonstige Breite der Stadtverwaltung hat die FDP keine Idee. Es ist auch kein Wunder. Man sollte sich nicht von der Indianer-Häuptlings-Rhetorik blenden lassen. Die FDP mag das ganze Indianerdorf nicht. Die Stadtverwaltung soll möglichst wie der ganze Staat schlank und rank sein und so viel wie möglich den Privaten überlassen.

Was die Quelle der Überstunden in 2012 betrifft, so ist mit Sicherheit z.B. die Einführung der Neuen Kommunalen Haushaltsführung in der Kämmerei zu nennen. Aber es ist die ganz „normale“ Belastung, die sich in vielen Bereichen angesichts über Jahre ausgedünnter Stellenpläne, Wiederbesetzungssperren etc. breit gemacht hat, bei oftmals zunehmend komplexerer Belastung.

Im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung 2009, ließ ver.di folgenden Notruf in einem Flugblatt los: „’Kleinkinder in verwahrloster Wohnung gefunden’ Solche Schlagzeilen haben viel mit der Arbeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zu tun und sind oft verbunden mit dem Vorwurf an das Jugendamt, die Vernachlässigung von Kindern nicht verhindert zu haben. (…) Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind die Berufsgruppe, die , die unter hohem Druck, möglichst im Fließbandtempo, die Probleme der Menschen lösen sollen, die zu den Verlierern der gesellschaftlichen Entwicklung gehören. Allein in Mannheim gab es im Jahr 2008 mehr als 600 Meldungen über Kindeswohlgefährdung. Die Zahl der ‚Hilfen zur Erziehung’ z.B. Heimunterbringungen und erzieherische Hilfen in Familien sind rasant angestiegen. Der Arbeitsdruck und die Fülle von Problemen machen uns krank.“ Dieser Flugblatttext stammt übrigens aus der Zeit vor dem „Fall Kevin“, der zurzeit vor dem Landgericht verhandelt wird.

Auch z.B. im Bereich der Stadtreinigung wird es nicht ohne Überstunden abgehen, wenn zusätzlich zu den ca. 100 festen Arbeitskräften bis zum letzten Jahr noch bis zu 70 Hartz-IV-Empfänger („Entgeltvariante“) tätig waren. Diese Stellen sind mittlerweile wegen der Kürzung der Eingliederungstitel durch die Ministerin Von der Leyen entfallen. Die Arbeit ist geblieben und liegt als vermehrter Schmutz auf den Straßen und Grünflächen deutlich sichtbar herum. Die LINKE hatte aus diesem Grund anlässlich der Haushaltsberatungen 30 neue Dauerstellen gefordert, jedoch ohne Erfolg.

Wenn es also die „Bugwelle“ von Überstunden in der Stadt und ihren Betrieben gibt, wie soll dann damit verfahren werden? Die ML (der ebenfalls jeder einzelne städtische Beschäftigte Einer zu viel ist – außer beim Theater) schlägt Langzeitkonten vor, „wie in der Industrie“. Dann gebe es keine Überstunden mehr. Das ist freilich ein Irrtum. Die Arbeits- und Arbeitszeitüberlastung der betroffenen MitarbeiterInnen ändert sich nicht, sie zermürbt weiterhin. Nur kann man dann am Ende des Arbeitslebens ein paar Wochen oder Monate früher gehen. Die Grünen empfehlen den Überstundenausgleich binnen weniger Wochen oder Monate und fragen nach entsprechenden tariflichen Möglichkeiten. Das mag bei saisonal bedingter Überarbeit noch hinhauen. Bei Dauerüberlastung ist auch dies freilich keine Hilfe.

Man wird sich also über kurz oder lang doch ernsthaft mit der Frage befassen müssen, wie viel Personal die Stadt tatsächlich benötigt, um die gesetzlichen Pflichtaufgaben wie auch die politisch gewünschten „zusätzlichen“ Aufgaben erledigen zu können. Das Thema „Überstunden“ ist übrigens auch Gift für die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, die doch alle im Munde führen.

Thomas Trüper


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