Bernhard Strasdeit, LINKE Fraktion, Haushaltsrede Kreistag am 14.12.2011

15. Dezember 2011  Finanzen & Haushalt, Kreistage, Rede

Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Damen und Herren,

lassen sie mich mit einem europäischen Bezug beginnen. Der Euro und damit die europäische Wirtschaftskraft gelten in Gefahr und wir haben hier mit den Kreisfinanzen und im Kreishaushalt 2012 im Vergleich zu den Vorjahren dennoch eine entspanntere Situation.

Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Ein Jammerlied müssen wir dieses Jahr nicht anstimmen, das ist seit der Einbringung des Haushalts Das ist so, weil die Wirtschaft derzeit – noch – brummt und die erwarteten Ausgaben für soziale Pflichtaufgaben im Kreis sind geringer und die Steuereinnahmen sind höher ausgefallen als im letzten Jahr erwartet. Die deutsche Industrie profitiert vor allem weiter vom Export. Aber wird es so bleiben? Wird es so bleiben, wenn die Europäische Union weiter Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien soziale Kürzungen und Privatisierungsorgien diktiert, deren Wirkungen verheerend sind. Wird es so bleiben, wenn im Inland weiter Armutslöhne und Niedriglohnsektor gesetzlich geschützt werden und wenn europaweit Schuldenbremsen aufgezwungen werden, die nicht die Reichen und Vermögenden treffen, die tatsächlich über die Verhältnisse leben, sondern die kleinen Leute trifft. Durch den massiven Sparkurs droht dem gesamten Euroraum eine Rezession. Ich möchte dazu eine Persönlichkeit zitieren, dessen politökonomische Kompetenz hier in der Runde wahrscheinlich unumstritten ist: Helmut Schmidt, der kürzlich auf dem Bundesparteitag der SPD eine proeuropäische Mahnrede hielt und dabei folgendes zu bedenken gab: Zitat:

Alle unsere Überschüsse sind in Wirklichkeit die Defizite der anderen. Die Forderungen, die wir an andere haben, sind deren Schulden. Es handelt sich um eine ärgerliche Verletzung des einstmals von uns zum gesetzlichen Ideal erhobenen „außenwirtschaftlichen Gleichgewichts“. Diese Verletzung muss unsere Partner beunruhigen.“

Und weiter Helmut Schmidt:

Wer da glaubt, Europa könne durch Haushaltsein-sparungen allein gesund werden, der möge gefälligst die schicksalhafte Wirkung von Heinrich Brünings Deflations-politik 1930/32 studieren. Sie hat eine Depression und ein unerträgliches Ausmaß an Arbeitslosigkeit ausgelöst und damit den Untergang der ersten deutschen Demokratie eingeleitet.“

 

Das Resümee dieser Mahnung: Sparhaushalte sind nicht der Ausweg, Schulden machen auch nicht. Aber die Schulden der öffentlichen Haushalte sind die Profite und Überschüsse der anderen. Die Profiteure dabei sind vor allem private und finanzmarktorientierte Banken.

Gegenüber dem Reichstagsgebäude in Berlin befindet sich eine Schuldenuhr. Während Sie einmal kurz auf Drei zählen, erhöhen sich die Schulden aller Haushalte in Deutschland um 6000 Euro. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere Seite ist: Wenn Sie einmal kurz auf drei gezählt haben, erhöhen sich gleichzeitig die privaten Vermögen der Reichen im Land um 9000 Euro. Das ist wie eine kommunizierende Röhre.

Die großen privaten Vermögen werden nicht mehr abgeschöpft. Deutschland ist Spitze bei dem Aus-einandergehen von Arm und Reich, sagt auch die OECD.

Als Kreistag, das ist mir bewusst, können wir nur einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten, diesem Auseinander-klaffen von Armut, von öffentlicher Armut auf der einen und privatem Reichtum auf der anderen Seite entgegenzuwirken, indem wir das, was notwendig und möglich ist, investieren in öffentliche Daseinsvorsorge, in Bildung, in Schulen, in Jugendhilfe, in Gesundheit, in soziale Infrastruktur. Was wir derzeit im Kreishaushalt an Schulden stehen haben, ist nicht für Luxusausgaben ausgegeben worden. Diese Schulden sind entstanden aus Zukunftsinvestitionen wie zum Beispiel in dieses neue Landratsamt, in Kreisschulen und Straßen.

Auch die FDP weiß: keine noch so schwäbische Hausfrau finanziert ihre Eigentumswohnung ausschließlich aus Eigenkapital.

Wir finden gut, dass es bei Personalausgaben im Kreishaushalt eine vorsichtige Wende zum Besseren gibt.

Keine Glaubensbekenntnisse mehr für Stellenstreichun-gen oder Personaleinsparungen sondern ein Mehr an insgesamt 12,5 Stellen, acht davon vom Landkreis finanziert. Das gilt nicht mehr als Teufelszeug sondern wird mit zusätzlichen Pflichten und öffentlichen Aufgaben in wichtigen Bereichen begründet.

Das begrüßen wir ausdrücklich, ebenso den Wegfall der Stellenbesetzungssperre, die wir über Jahre hinweg als einen falschen Weg kritisierten.

Was wir nachher unter dem Stichwort „freiwillige Leistungen“ im Einzelnen verhandeln, ist auch nicht einfach „freiwillige“ Ausgabe. Freiwillig heißt, dass etwas in den Sozial-Gesetzbüchern nicht zwingend vorgeschrieben ist. Freiwillig heißt nicht überflüssig. „Freiwillig“ ist eigentlich der völlig falsche Begriff für diese Liste. Denn, was wir da an Anträgen aus Vereinen und Initiativen heute vorliegen haben, ist Ausdruck eines funktionierenden Netzwerks mit viel ehrenamtlichem Engagement im Landkreis, ein Netz, das dringend notwendig ist, damit wichtige Leistungen erbracht werden können und Menschen nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Ich nenne als wichtigste Ursache von Ausgrenzung hier nur die eklatante Ausweitung von Beschäftigung im Niedriglohn, von Minijobs, also immer mehr Menschen, die trotz Erwerbsarbeit so wenig Geld verdienen, dass sie in Tübingen zum Jobcenter gehen und betteln müssen.

Deshalb finden wir es wichtig, dass die soziale Frage wieder in den Mittelpunkt politischer Kreativität rückt und nicht nur als lästiger Ballast behandelt wird.

Also, da wurde zum Beispiel der Kollege Höschele in einem uns allen bekannten Tübinger Presseerzeugnis am 21. Oktober mit den Worten zitiert, es sei „eine wichtige Kreisaufgabe, das soziale Gleichgewicht darzustellen, da sitzen Kreis und Gemeinden in einem Boot.“

Das ist ein großes Wort. Denn für einen Kreishaushalt ist die Aufgabe allein gar nicht so leicht zu stemmen. Aber ich stimme da voll zu und will die Zielsetzung aufgreifen. Der beste Beitrag dazu wäre, wenn wir im kommenden Jahr gemeinsam dafür sorgen, dass die neue Bonuscard nicht auf das gesetzliche Teilhabepaket beschränkt bleibt, sondern gemeinsam mit den Gemeinden und dem NALDO zu einem kreisweiten Sozialticket ausgebaut wird.

Da gibt es gute Vorbilder im Land. Damit könnten wir allen Menschen mit geringem Einkommen im Kreis mehr gesellschaftliche Teilhabe und mehr Mobilität ermöglichen.

Es ist aus unserer Sicht ein guter Schritt, dass für die Flüchtlinge der Unterkunft in Weilheim jetzt nach Übereinkunft aller Fraktionen im Sozialausschuss etwas getan wird.

Das Stichwort „soziales Gleichgewicht“ muss auch für die Schülerbeförderung gelten. Unsere Fraktion hat dazu eine Forderung in diese Haushaltsberatung eingebacht, die aus dem Rahmen fällt. Das ist beabsichtigt.

Denn wir wollen die schreiende Ungerechtigkeit abschaffen, dass Schüler aufs Jahr gesehen rund dreimal so viel für ein NALDO-Ticket ausgeben müssen wie Studierende für das Semesterticket. Das bedeutet faktisch so etwas wie eine Studiengebühr für Berufsschüler. Ich sehe das zudem als eine Diskriminierung für nichtakademische Ausbildungswege.

Die Verwaltung rechnet mit einem Aufwand aus dem Kreisetat von über 1, 6 Millionen Euro, wenn die Höchstgrenze der Schülereigenanteile an das Semesterticket, das ja vom Land bezuschusst ist, angeglichen wird.

Dieser Betrag ist nach der herkömmlichen Berechnung von Zuschüssen sicherlich richtig ausgewiesen. Aber die tatsächlich anfallenden Mehrkosten für den NALDO liegen bestimmt weit darunter, weil die Fixkosten, die sich dann bei mehr und öfters fahrenden Schülerinnen und Schülern nur unerheblich erhöhen. Ein leer fahrender Bus kostet bekanntlich fast genauso viel wie ein voll mit Fahrgästen besetzter Bus.

Der NALDO muss seine strukturelle Schülerfeindlichkeit aufgeben und wir als Kreistag sollten was dafür tun.

Ich bitte auch zu bedenken: den fehlenden Zuschussbetrag von 1,6 Millionen hätten wir schon dieses Jahr allein aus einem Teil der Haushaltsüberschüsse aufbringen können, also den Luftbuchungen aus der Haushaltsberatung vom letzten Jahr.

SPD und Grüne wollten ja letztes Jahr zusätzliche Rückstellungen. Aber da haben wir zusammen mit CDU und den Freien Wählen lieber dafür gestimmt, das Geld nicht zu horten sondern zum Ausgeben besser bei den Gemeinden zu belassen. In diese Richtung tendieren wir auch dieses Jahr wieder: Wenn das Geld hier über den Landkreis nicht eingesetzt wird, wollen wir es über die Kreisumlage auch nicht beanspruchen.

Ein weiterer Punkt, der uns sehr wichtig ist: der Zuschussantrag für den Tübinger Arbeitslosentreff TATe.V., den die SPD und wir in voller Höhe unterstützen. Es geht um 12 000 Euro. Das fällt bei der Berechnung der Kreisumlage überhaupt erst nach der zweiten Stelle hinter dem Komma ins Gewicht. Der Verein macht mit einer Teilzeitstelle dort viel gute Arbeit, insbesondere für Langzeiterwerbslose. In einem Brief, der uns gestern von TAT e.V. erreichte, heißt es:

Unsere Angebote werden auch von Menschen aus dem Landkreis nachgefragt. In der Kreis-Armutskonferenz bringen wir die Erfahrungen der Ratsuchenden ein und suchen mit den anwesenden Kreisrätinnen und Kreisräten nach Lösungen. Und schließlich vertreten wir die Auffassung, dass jeder das Recht hat, eine von den Behörden unabhängige Beratung über die beantragten Leistungen zu erhalten – was in einem BSG-Urteil von 2009 bestätigt wurde.“

Diese Argumente sprechen aus unserer Sicht sehr dafür, dass der Tübingen Arbeitslosen Treff TAT e.V. künftig auch vom Landkreis Tübingen finanziell gefördert wird. Wir erhoffen uns dafür Ihre Unterstützung.“


Ich meine, die Verwaltung und das Jobcenter müssten auch ein Interesse daran haben, dass es so eine nichtbehördliche Einrichtung gibt, wo sich Hartz IV – Betroffene mit oft schwierigem Lebenshintergrund ohne Ängste zusätzlich hinwenden können.

Meine Damen und Herren,

ich komme zum Schluss zurück auf meine Eingangsbemerkung:

Wir haben eine Krise des Finanzmarkt gebundenen Bankensystems, das ganze Staaten und deren Wirtschaftsentwicklung und in Folge dessen auch die kommunalen Haushalte im ganzen Land bedroht. Die nach einem liberalen Sozialisten benannte Karl-Hermann-Flach-Stiftung hat kürzlich eine Tagung zum Thema durchgeführt, Titel: „die Macht der Rating-Agenturen“. Die Veranstaltung beweist: Bankenregulierung und die Diskussion über die Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlich geprägten Bankensystems ist nicht mehr nur ein Thema von uns LINKEN sondern ein Gebot der Demokratie, damit sich öffentliche Haushalte mit niedrigen Zinsen finanzieren können, statt private Banken mit Steuermitteln zu subventionieren.

Wir wollen mit Ihnen dafür streiten, dass auch der nächste und der übernächste Kreishaushalt vom Landrat eingebracht wird und nicht von einer Rating-Agentur.

 

P.S.

Nachdem es zu wesentlichen Anträgen von SPD und LINKEN eine Blockadehaltung von CDU und FWV gab, haben wir uns entschieden, bei der Endabstimmung dem Haushalt nicht zuzustimmen.

Gute Berichterstattung Tagblatt, Zwischenüberschrift am 15.12: „Naldo muss seine strukturelle Schülerfeindlichkeit aufgeben“; Bernhard Strasdeit, Linke.

——————————————————————————————–

 


Hinterlasse einen Kommentar

Trackbacks/Pingbacks