Für das „Sozialticket“ braucht es nur den politischen Willen – wirtschaftlich ist es machbar!

14. Oktober 2011  Gemeinderäte, Position, Soziales, Verkehr

Vier Referenten trugen am 14.10. ihre Ansichten zum Sozialticket vor, und viermal wurden interessante Perspektiven eröffnet. Die Rede ist von Hearing zum „Sozialticket“ der Linken im Mannheimer Gemeinderat unter dem Motto: „Bus und Bahn für alle!“

Prof. Grottian stellte die Bewegung für Sozialtickets in den Zusammenhang der gegenwärtigen großen Sozial- und Finanzproteste. „Die Menschen haben noch einen Gerechtigkeitssinn!“ Man müsse nur die Menschen aufrütteln und mobilisieren. In Berlin hatten sie Erfolg: Als der rot-rote Senat (bei der Trümmerbeseitung des CDU-Bankenskandals) das Sozialticket strich, organisierte Grottian mit einigen weiteren Aktivisten medienwirksames Schwarzfahren: Boulevard- und seriöse Presse griffen das Thema auf, die sozialpolitische Unhaltbarkeit der Sozialticketstreichung wurden deutlich und die Streichung wurde zurückgenommen, denn sie war ungerecht.

Sabine Neuber, die Vorstandsvorsitzende der Mannheimer AWO, die auch das Mandat der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände hatte, stellte klipp und klar fest: Das Sozialticket muss her. So sieht es auch die Liga. Man müsse sich nur einmal vorstellen, welches Maß an Mobilität gerade auch Menschen in Armut brauchen, dann sei vollkommen klar, wie unmöglich der Zustand ist, sich die teuren ÖPNV-Tickets nicht leisten zu können. Viele helfen sich durch Schwarzfahren, werden erwischt, sammeln Strafbescheide, verschulden sich, kommen am Ende in den Knast. Sabine Neuber weiß das auch aus der Praxis der Schuldnerberatung. 10% der Klienten haben Nahverkehrsschulden. Wer arm ist, muss umso öfter aufs Amt. Auch für die Arbeitssuche gibt’s keine Freifahrten. Man muss zum Arzt, Angehörige besuchen, oft im Zusammenhang mit Pflege, die Kinder begleiten. Viele bekommen für Vollzeitarbeit kaum mehr als Hartz-IV’ler, sie zahlen den vollen Preis für die Monatskarte, wenn der Arbeitgeber kein Jobticket anbietet. Man will auch mal in den Park, ins Grüne, ins Kino – von der Schönau und der Rheinau ein weiterer Weg als vom Oberen Luisenpark! Sozialticket! Die AWO hat laut Sabine Neuber deshalb jüngst mal wieder die Initiative ergriffen und alle Bürgermeister/innen im Einzugsgebiet des VRN angeschrieben, ob sie ein Sozialticket unterstützen würden. Die Umfrage ist noch nicht ausgewertet. Man darf gespannt sein.

Man darf aber nicht zu gespannt sein: Rüdiger Schmidt, der Geschäftsführer des verkehrswirtschaftlichen Zweiges des VRN (Unternehmensgesellschaft des Verkehrsverbundes Rhein-Neckar GmbH) berichtete nämlich in seinem Beitrag, die Bürgermeisterversammlung des kommunalpolitischen Zweiges des VRN (Zweckverband Verkehrsverbund Rhein-Neckar) hätten gerade im Juni 2010 mehrheitlich gegen Sozialtickets gestimmt. Schmidt machte deutlich, dass nicht so sehr die Verkehrsunternehmen das Problem seien, sondern die kommunalen Träger, Besteller und Verlustausgleicher des Nahverkehrs. Bei deren Positionierung spiele immer die Hochrechnung zusätzlicher Verluste durch Sozialticket-Angebote eine zentrale Rolle. Diese Hochrechnungen stammen wiederum aus dem Umfeld des Verkehrsverbundes. Mit Spannung erwarte er jedoch eine Studie, die der Heidelberger Gemeinderat für 30.000 EUR bei einem unabhängigen Gutachter in Auftrag geben wolle. Die Ergebnisse freilich lassen dann noch sicher ein Jahr auf sich warten.

Umso wichtiger sind die Erfahrungen mit der Köln-Card, die Michael Weisenstein als Aufsichtsratsmitglied der Linken in den Kölner Verkehrsbetrieben AG mitteilte: Dort wurde nach langen Auseinandersetzungen das (wie in Mannheim) im Jahr 2000 von der CDU-Mehrheit abgeschaffte Sozialticket 2007 als Monatskarte bzw. Viererblock wieder eingeführt. Die Vermutung war: Wenn Menschen, die aufgrund ihrer Einkommenssituation den ÖPNV nur sporadisch nutzen können (oder Schwarzfahrten riskieren) durch das erheblich preisreduzierte Sozialticket wieder einsteigen können in Busse und Bahnen, dann steigt er Umsatz und nicht das Defizit. So ist es denn auch laut Weisenstein gekommen: 10 Millionen Fahrten mehr pro Jahr und 4 Mio. EUR mehr Umsatz. Die Verkehrsbetriebe brauchen keinen zusätzlichen Verlustausgleich. Die Köln-Card ist seither ein Erfolgsmodell mit steigender Tendenz.

Für Mannheim ergeben sich folgende Konsequenzen:

Das Sozialticket muss wieder auf die politische Tagesordnung

Der Preis muss sich im Rahmen des ÖPNV-Anteils am Hartz-IV-Grundbetrag halten

Wenn man den immer mal wieder getätigten Äußerungen von SPD und Grünen Glauben schenken darf, müsste für ein Sozialticket in Mannheim die erforderliche Gemeinderatsmehrheit zustande kommen

Die immer wieder in den Raum gestellten Argumente der Gegenseite müssen offensiv widerlegt werden – das Sozialticket ist kein Subventionsthema

Ohne breite und sichtbare Bewegung für ein Sozialticket wird es nicht gehen

Die Sozialticket-Initiativen im Rhein-Neckar-Dreieck müssen kooperieren, ohne sich voneinander abhängig zu machen – erste Insellösungen wären schon sehr hilfreich

Langer Atem ist notwendig.

Thomas Trüper


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