Rede im Planungsausschuss zur Biomassenutzung im industriellen Maßstab

27. Juni 2012  Rede, Regionalversammlungen, Umwelt

Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren,

Der Konflikt um die Refood-Biogasanlage in Nürtingen zwingt uns zur Grundsatzfrage: Wie gehen wir in unserem Ermessens- und Abwägungsspielraum als Regionalräte mit Biomassenutzung im industriellen Ausmaß um? Also einer Nutzung von Biomasse jenseits eines klar lokalisierten kreislaufwirtschaftlichen Ansatzes.

Dass es nun einen Kriterienkatalog ergänzend zu den schriftlichen Abschnitten des Regionalplans geben soll ist angemessen, denn die Verwaltung benötigt an der Stelle Verfahrenssicherheit und ein politisch begründetes Mandat für ihr Handeln gegenüber Investoren und Kommunen.

Nach meiner Auffassung muss der Kriterienkatalog aber den Grundsätzen des Regionalplans entsprechen, dass auch zukünftig eine Ansiedlung ausschließlich in Gewerbe-/Industrie- und Sondergebieten – also im Innenbereich – vorgesehen wird. Diese Position sollten wir keinesfalls räumen, auch um nicht in den Verdacht der Kirchtumspolitik zu geraten, also Fälle im Aussenbereich nach unterschiedlichen Maßstäben zu beurteilen.

In der Region haben wir laut Aussage der Verwaltung in der Vorlage 300 ha sofort bebaubare Fläche in Gewerbegebieten, weitere 1.300 ha stehen ohne Baurecht als Reserve zur Verfügung. Es gibt daher überhaupt keine Notwendigkeit den Freiraumschutz auszuhöhlen. Für die Bereitstellung weiterer 1.000 ha Fläche plus 450 ha in Zuordnung zu vorbelasteten Standorten im Kriterienkatalog gibt es keine Notwendigkeit. Die überörtliche Standortsuche mit dem Ziel eines optimalen Ergebnisses sollte weiterhin unser Ziel sein. Ich beantrage daher, dass abgesehen vom Verfahren nach dem Plansatz 4.2.2.6 keine weiteren Optionen im Kriterienkatalog eröffnet werden, d.h. wir verbleiben bei der dienstleistenden Funktion einer überörtlichen Standortsuche aber im Innenbereich. Ich bitte diesen Antrag später zur Abstimmung zu stellen. Der von der Verwaltung vorgebrachten Beschlussempfehlung kann ich in der vorliegenden Fassung nicht folgen.

Der großtechnische Maßstab dieser Biogasanlagen und die daraus resultierende Unverträglichkeit mit dem sonstigen Siedlungsbereich darf uns nicht zur Aufgabe einer richtigen Position zwingen, wie sie gegenwärtig im Regionalplan festgehalten ist. Die Anlagen müssen technologisch so entwickelt sein, dass sie sich in die Planungsziele und -Grundsätze einfügen also im Innenbereich verträglich mit anderen Ansiedlungen sind, und nicht die Planung dem Stand der Anlagentechnik hinterher rennen muss. Was das zur Folge hat, sieht man anschaulich beim Automobil: Die Infrastruktur wird für viel Geld den immer größeren Fahrzeugmodellen angepasst. Das kostet Fläche und schafft Anreize, dass immer mehr unnütze SUVs mit verheerenden Unfallstatistiken auf unseren Straßen stehen und verkehren, und damit die Unterordnung der Städte unter das Automobil fortgeschrieben wird. Sinnvoller wäre es, um zur Biomasse zurückzukommen, die Investoren durch planerische Vorgaben anzuhalten, viele kleine und dezentrale Biogasanlagen zu errichten, die tatsächlich die Biomasse aus dem nahen Umfeld gewinnen, anstatt riesige Biogasfabriken attraktiv zu machen. Dafür gibt es ja bereits die Privilegierung im Aussenbereich bei einer Leistung bis 0,5 MW. Mit Nachhaltigkeit hat es nichts mehr gemein, wenn Biomasse mit LKWs aus einem 150 km Einzugsbereich angekarrt werden muss, damit diese Anlagen wirtschaftlich betrieben werden können.

DIE LINKE will eine dezentrale Energiewende, eine lastnahe Produktion von Energie und Wärme, und einer Anlagentechnik die verträglich in bestehende Siedlungsansätze und die Landschaft eingebettet werden kann, mit möglichst geringen Eingriffen in schutzwürdige Güter.

Einen zweiten Punkt will ich an dieser Stelle aber ebenfalls anfügen: Die Anerkennung der raumordnerischen Kompetenz im regionalen Planungsmaßstab. Das Regierungspräsidium muss diese Kompetenz anerkennen und achten. Das Instrument der Zielabweichung wie es jetzt wieder im Fall Nürtingen zur Anwendung kam und weswegen wir nun Klagen müssen, darf nicht zum Regelfall werden. Es durchbricht die Verbindlichkeit unserer demokratisch gefassten Beschlüsse. Das schwächt die Bedeutung der Regionalversammlung als Parlament der Bürgerinnen und Bürger und entwertet unsere Arbeit. Wenn wir das zulassen, dürfen wir nicht über sinkende Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene jammern. Ein Kriterienkatalog ist also auch nur so viel Wert, wie er in der Praxis an Bindungswirkung entfaltet. So wie das Regierungspräsidium momentan agiert, kann es nicht weitergehen.


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