Wo Sozialticket draufsteht, ist fast nur die Notwendigkeit und Möglichkeit drin, für ein wirkliches Sozialticket weiterzukämpfen

Am 3. Mai hat nun der Gemeinderat den Haushaltsbeschluss vom Dezember 2011 umgesetzt, ein Sozialticket einzuführen. Herauskam ein Almosen aus einem Geldtöpfchen von 400.000 EUR. Ursache war die Widersprüchlichkeit des Etatbeschlusses, den SPD, Grüne und die ehemalige Linke Gudrun Kuch eingebracht hatten, und dem die Linke zu einer Mehrheit von einer Stimme verholfen hatte, nachdem sie sich mit ihrem eigenen Antrag nicht hatte durchsetzen können. Ursache für die Almosen-Lösung ist aber auch die verbohrte Haltung des VRN, keinen Sozialtickettarif zulassen zu wollen.

1-Euro-Tickets, so lange Vorrat reicht

Die jetzige Beschlusslage im Einzelnen: Es wird ab Juni oder Juli für TransferleistungsempfängerInnen (SGB II und XII, AsylBLG) die Möglichkeit geben, beim Sozialamt oder den Bürgerbüros reguläre Einzelfahrscheine im Fünferblock (max. 2 Blöcke pro Monat und Person) für je 5 EUR zu erwerben. Die Differenz zum regulären Preis von 10,30 EUR je Block trägt die Stadt. 75.500 Blöcke stehen pro Haushaltsjahr zur Verfügung.

Um es in aller Klarheit nochmals zu verdeutlichen: Es handelt sich nicht um Sozialtickets als einem „Tarifprodukt“ des Verkehrsverbundes für Menschen mit geringem Einkommen in Mannheim, sondern um eine milde Gabe des Mannheimer Sozialamtes, für die in Summe 400 TEUR pro Jahr zur Verfügung stehen. Das ist alles, was mit dem Etatbeschluss „Einführung eines Sozialtickets“ in Mannheim sinnvoller weise zu realisieren war. Hätte man unter den finanziellen Vorgaben Monatstickets à 20 EUR bereitgestellt, wären ca. 800 Personen für ein Jahr zum Zuge gekommen bei ca. 26.000 Berechtigten.

Wenn die Deckelung nicht wäre …

Der Haushaltsbeschluss „Sozialticket“ war ja eigentlich ganz schön und brauchbar. Da wurde beschlossen: Sozialtickets als einzeln käufliche Monatskarte für ca. 20 EUR oder wahlweise Einzelfahrscheine für 1 EUR. Berechtigt sollten sein: Die oben genannten TransferleistungsbezieherInnen; zusätzlich aber auch alle Wohngeldberechtigten (Segment der working poor) und die Kinderzuschlagsberechtigten. Die Stadtverwaltung sollte ferner Verhandlungen mit dem VRN über eine eventuelle finanzielle Beteiligung am Sozialticket aufnehmen.

Für alles zusammen wurden 400 TEUR „in den Haushalt eingestellt“. Hier lag der entscheidende Unterschied zum Antrag der Linken: Dieser wollte die Möglichkeit der erstmals angewandten Doppik nutzen, Rückstellungen zu bilden für ein „Risiko, von dem nicht klar ist, ob es eintritt“. Das Risiko wäre gewesen, dass die Stadt Mannheim nach Einführung des Sozialtickets einen möglicherweise eintretenden Defizitzuwachs des Verkehrsträgers RNV (gemeinsames Verkehrsunternehmen der Städte Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen im Verkehrsverbund VRN) auszugleichen hätte. Die Linke, aber auch SPD und Grüne gingen jedoch davon aus, dass die Einführung eines Sozialtickets für die Verkehrsträger mindestens ergebnisneutral wenn nicht sogar positiv verlaufen würde: Wenn das „Tarifprodukt“ stimmig ist, wird es in großem Umfang angenommen, was letztlich zu Umsatzsteigerungen führt ohne entsprechende Aufwandssteigerungen. Das Kölner Beispiel ist inzwischen ein Beleg für die Berechtigung dieser Hypothese. SPD und Grüne mochten aber der Logik einer Rückstellung nicht folgen und tappten in die Deckelungs-Falle.

Linke setzt sich trotz alledem noch für eine kleine Verbesserung ein …

Die Linke stellte auf dem Hintergrund, dass der Ursprungsbeschluss über das Sozialticket jetzt so ist, wie er ist, noch folgenden mündlichen Antrag: Die Verwaltung möge prüfen, ob die ursprünglich für das MAXX-Ticket aus dem FamilienpassPlus budgetierten Mittel (440.000 EUR), die zum größten Teil schon verausgabt wurden, vom Bund aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, welches u.a. den Schülerverkehr für Transferleistungs- und WohngeldempfängerInnen finanziert, zurückgeholt werden können. Sollte dies der Fall sein, sollen diese Gelder zur Finanzierung des Sozialtickets herangezogen werden und so den Deckel höher hängen. Der OB sagte diese Prüfung zu und verwies, was die Verwendung der eventuell zurückzuholenden Gelder betrifft, auf das Budgetrecht des Gemeinderats. Es ist also noch eine Aufstockung denkbar.

… vor allem aber für eine grundlegende Verbesserung

Die knappe Gemeinderatsmehrheit, die sich für ein Sozialticket einsetzt, betrachtet die jetzt gefasste Umsetzungsentscheidung als „Einstieg“ in das Thema. Es besteht eine gewisse Hoffnung, dass die Kräfte, die die knappe Sozialticket-Mehrheit im Gemeinderat bilden, die Auseinandersetzung mit dem VRN und den prinzipiellen Gegnern eines Sozialtickets weiterführen. Die Linke wird alles ihr Mögliche unternehmen, diese Auseinandersetzung mit Nachdruck zu befördern – „zu erzwingen“ wäre für ein Einzelmitglied im Gemeinderat etwas zu hoch gegriffen.

Die Debatte im Gemeinderat zeigte nochmals die Frontlinien, Schützengräben und Fallgruben

Die Debatte im Gemeinderat am 3. Mai war durchaus heftig und ausführlich, was den Mannheimer Morgen aber nur veranlasste, den Beschluss noch lächerlicher zu machen als er ist („Zwei Blöcke pro Jahr“) und die eigentlichen Themen, um die es geht, zu verschweigen. Leider war nur die Linke auf Kampf eingestellt, während SPD und Grüne der Parteiraison folgend kurz begründeten, wie schön und wichtig es ist, dass es nun aufgrund des von ihnen einst eingebrachten Antrags ein Sozialticket gebe, und dass hier eben nun ein Kompromiss vorliege.

Zunächst jedoch goss der CDU-Fraktionsvorsitzende Südmersen seinen Spott über die 75.500 Ticketblocks aus – die brächten gar nichts. Außerdem sei mit dem Hartz-IV-Satz, der ja ein Kind von SPD und Grünen sei (Recht hat er), genug Nahverkehr für die Berechtigten gesichert (er meint also, vier mal pro Monat in die Stadt und zurück reicht). Es sei schlicht und einfach nicht Aufgabe der Kommunen, den Bedürftigen mehr Geld zu geben. Da solle man sich an Berlin wenden. Ins gleiche Horn stieß die FDP-Frau Dr. Wormer. Auch sie verwies auf die schwarz-gelbe Regierung, ohne das Hohngelächter von SPD und Grünen befürchten zu müssen. Südmersen nannte erneut die Verbilligung von Nahverkehrstickets „pure Geldverschwendung – ermöglicht mit einer völlig unnötigen Gewerbesteuererhöhung“, die von der knappen „Sozialticket-Mehrheit“ durchgesetzt worden war. Im übrigen hielt es Südmersen für eine „Sauerei“, dass ihm der Linken-Stadtrat Trüper „soziale Kälte in erschreckendem Ausmaß“ vorgeworfen habe, und dass dieser ihm unterstellt habe, er wolle die einkommensschwache Bevölkerung in den Vororten „einsperren“.

Die Mannheimer Liste in Gestalt von Herrn Dieter hatte noch einen neuen Gedanken beizusteuern: Auch die Armen in Schwetzingen z.B. seien doch Menschen, man könne doch nicht nur für die Mannheimer sorgen (Recht hat er, wenn auch nicht als Mannheimer Stadtrat). Wenn man nun aber das Sozialticket nur in Mannheim einführe, habe das schlimme Folgen. Einen früheren Werbeslogan des Stadtmarketings zitierend stellte er klar: „Magnet Mannheim – das wollen wir nicht“. Mannheim solle also nicht noch zusätzliche Arme aus dem Umland anlocken, die sich hier dann niederlassen.

Finanz- und ÖPNV-Dezernent Specht (CDU), u.a. Verwaltungsratsvorsitzender des VRN, versuchte noch klarzustellen: „Die Verkehrsunternehmen haben einen Anspruch auf 60 EUR je Monatsticket (Normaltarif Monatsticket für Jedermann ohne Abovertrag). Die Differenz zum Sozialticketpreis muss auf jeden Fall jemand zahlen. Ganz einfach!“ Auf Basis dieser ganz einfachen Rechnung hatte er schon während der Haushaltsberatungen behauptet: Wenn 50% der Berechtigten ein Sozialmonatsticket ein ganzes Jahr lang kaufen würden, hätte die Stadt einen Zuschuss von 5,8 Mio. EUR zu tragen. Er verwies auch nochmals auf den Beschluss der Verbandsversammlung des VRN aus Juni 2010, kein Sozialticket einzuführen und die Debatte hierzu zu beenden.

Es ist nun klar, wie dick das Brett ist. Wie scharf und stark ist der Bohrer?

Dezernent Specht meint, sich vollkommen hinter den „Unternehmen“ verstecken zu können, denen kein Gemeinderat irgendwelche Vorschriften machen könne. Da ist leider ein Körnchen Wahrheit dran. Denn der VRN ist als sog. „Netto-Verbund“ konstruiert: Die einzelnen Mitgliedsverkehrunternehmen arbeiten auf eigene Rechnung; sie tragen das unternehmerische Risiko und haben daher das Recht, die Tarife selbst (über die URN) zu bestimmen. Gemeinwohlbedingte Defizite müssen dann die jeweiligen Auftraggeber (Kommunen und Kreise bzw. Länder) ausgleichen. Es gibt jedoch durchaus Beispiele, wie der gemeinsame politische Wille der Gebietskörperschaften zu verbundweit gültigen verbilligten Sondertarifen führte. Erinnert sei an die „Karte ab 60“, ein verbundweit einsetzbares Monatsticket für 34,20 EUR. Hierfür zahlt keine Kommune einen speziellen Verlustausgleich. Es gibt nur aus dem Regionalisierungsfonds des Bundes und der Länder einen Zuschuss. Von diesem Abo-Ticket werden ca. 60.000 im VRN verkauft. Es geht also, wenn man will.

Das Thema „Teilhabe für Einkommensschwache“ durch einen verbundweiten Tarif bleibt also auf der Tagesordnung. Schwerpunkt müssen die Städte Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen und der Rhein-Neckar-Kreis sein – das Einzugsgebiet der RNV, die ein öffentliches und kommunal kontrolliertes Verkehrsunternehmen mit 45% Anteil am Gesamtverbund ist. Interessant wird als nächstes das Ergebnis der Befragung von Hartz-IV-EmpfängerInnen in Heidelberg. Die Metropolregion muss auch auf Seite der KämpferInnen für ein Sozialticket zusammenwachsen!


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